Landesjugendorchester Baden-Württemberg begeisterte 400 Zuhörer in der Alten Mälzerei – SWR Kultur sendet Mitschnitt am 4. Juli – Wie funktioniert Zwölftonmusik?
Beethoven, Berg und Strawinsky. Drei große Namen der Musikgeschichte stranden am Freitagabend auf dem Programm der Konzertgemeinde. Im Rahmen der Reihe „Mosbacher Klassische Konzerte“ spielte das Landesjugendorchester Baden-Württemberg in der Alten Mälzerei und bescherte den gut 400 Zuhörern ein grandioses Musikerlebnis. Nicht nur Johannes Klumpp, seit 2020 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter der Heidelberger Sinfoniker, erläuterte einige Besonderheiten der Werke. Auch Christof Roos brachte im Vorfeld zahlreichen Gästen inhaltliche Hintergründe und Basics zum Thema „Zwölftonmusik“ nahe. Sologeigerin Anne Luisa Kramb begeisterte ebenso wie das über 70-köpfige Ensemble. Die Nachwuchsmusiker zwischen 15 und 20 Jahren agierten hochmotiviert und voller Spielfreude. Mosbach bildete bereits die vierte von insgesamt sechs Stationen der aktuellen Tour. Vor der Alten Mälzerei stand deshalb ein Ü-Wagen von SWR Kultur und schnitt das rund zweieinhalbstündige Konzert mit. Voraussichtlich am Freitag den 4. Juli soll das „Abendkonzert“ dann über den Äther gehen.
Mit einem langanhaltenden, warmen Applaus begrüßt das Publikum, darunter erfreulich viele junge Zuhörer, die Musikerinnen und Musiker beim Betreten der Bühne. Die Künstler verharren einen Moment stehend, dann setzt das große Stimmen ein. Leise wehen die Acht-Uhr-Glockenschläge aus der Altstadt herüber, die Fußtritte des nahenden Dirigenten sind deutlich zu hören. Ein Moment der Sammlung. Peng! Mit einem Paukenschlag und dramatisch anschwellenden Streicherklängen setzt Ludwig van Beethovens „Leonoren-Ouvertüre“ Nr. 3 ein. Es geht direkt in die Tiefen des opulent besetzten Orchesters, filigrane Flötentöne wechseln mit bukolischem Hörnerklang, bevor erneut ein Gewittersturm losprasselt. „Beethoven hat nur eine einzige Oper geschrieben, die Handlung ist schnell erzählt“, so Christof Roos: Eine Frau verkleidet sich als Mann, um unter dem falschen Namen Fidelio ihren eingekerkerten Ehemann zu besuchen und beschützen. „Es geht dabei um Angst, um Widerstandskraft, um Hoffnung und Zweifel und am Schluss um Jubel.“ All diese Gefühle lassen sich auch am Konterfei des Dirigenten ablesen, der wie Zeus seine Blitze zu schleudern scheint, wenn er die ansteigenden Klangkaskaden heraufbeschwört. Solch eine große tonale Reinheit und brillante Klangtiefe hört man nicht häufig in der Alten Mälzerei. „Schwitzen Sie auch so?“, fragt der Dirigent nach dem Riesenapplaus.
Die vier Saiten einer Geige bilden den Ausgangspunkt für Alban Bergs letzte Komposition, dem kurz vor seinem Tod vollendeten Konzert für Violine und Orchester. Der Untertitel lautet: „Dem Andenken eines Engels“. Gemeint ist damit die junge Manon Gropius. Die Tochter von Alma Mahler steckte sich an Polio an und verstarb nach einer schrecklichen Leidenszeit mit nur 18 Jahren an Ostern vor 90 Jahren. „Wir befinden uns im Jahr 1935, der Kompositionsauftrag vom US-Geiger Louis Krasner kommt für Berg ebenfalls vom Himmel. Als jüdischem Komponisten fallen ihm alle Einnahmen aus Deutschland weg. Es könnte aber auch sein eigenes Requiem gewesen sein“, erklärt Johannes Klumpp. Denn kurz nach Vollendung des Werks – und noch vor der Uraufführung - stirbt der nur 50-jährige Berg an einer falsch behandelten Blutvergiftung. Unsterblich ist dagegen die Zwölftonkomposition des Schönberg-Schülers, auch wenn sie den unvorbereiteten Ohren zunächst nicht gerade schmeichelt. Statt auf Dur und Moll zu setzen, bildet Berg Tonreihen aus allen 12 Halbtönen. Die Schikane dabei: Bevor ein Ton das zweite Mal erklingen darf, müssen alle anderen elf abgearbeitet sein. Die Harfe im Dialog mit der Violine beschert sanfte Momente im ersten Satz. Miniaturen ploppen auf wie Erinnerungen an Wiener Schmäh, Tanz und Gesang – „alles natürlich durch die Alban-Berg-Brille“. Wie einen Ariadnefaden bewahrt Solistin Anne Luisa Kramb den Lebensodem der Titelheldin, auch wenn im Glas erste knirschende Risse entstehen. Die zunächst wetterleuchtende Drohkulisse gewinnt im zweiten Satz an Macht. Da mutiert der Geigenklang zu einem gefangenen Vogel, der panisch versucht, seinem Gefängnis zu entkommen. Das Ende des ungleichen Kampfes bildet das Echo der Bach-Kantate Nr. 60: „Es ist genug Herr, wenn es dir gefällt, so spanne mich doch aus.“ Nach dem dritten Vorhang wählt die Sologeigerin eine Sarabande von Bach als Zugabe.
In die Rolle eines Märchenonkels schlüpft der Dirigent, als er die Handlungsstränge von Igor Strawinskys Ballettsuite „Der Feuervogel“ nachzeichnet. Das „Best of“ der längeren Ballettversion begleitet den jungen Zarewitsch auf einem Jagdausflug. Da er den Feuervogel mit dem Leben davonkommen lässt, erhält er zum Dank eine Feder, die ihm später im Kampf gegen einen bösen Zauberer hilft, der wiederum 13 wunderschöne Prinzessinnen gefangen hält und bereits 12 Prinzen in Steine verwandelte. Auch hier setzt der Komponist auf Ton-Kontraste. Exquisite Solistinnen tragen zum märchenhaften Zauber bei, etwa an der Harfe, am Fagott, am Horn. Jetz kommt auch der große Moment für Fabian Egolf an der Pauke - er besucht die Mosbacher Musikschule.
Die erste Zugabe bleibt märchenhaft: Die Hexe „Baba Jaga“ wütet munter in der Version des Komponisten Anatoli Konstantinowitsch Ljadow, der seinerzeit keine Lust hatte, den Feuervogel zu komponieren. Als Schlusspunkt, der zu Herzen geht, erklingt die Bach-Kantate „Es ist genug“ - nun gesungen von allen Musikerinnen und Musikern. Auch nachdem der letzte Applaus verklungen ist, sind die fünf Besatzungsmitglieder des Ü-Wagens aus Mainz beschäftigt. Bis allein die 45 Bühnenmikrofone abgebaut sind, dauert es. Eine „Kiste“ im Saal wandelt alles in Lichtwellen, die wiederum auf den 45 Kanälen im Mischpult landen. Toningenieurin Angela Öztanil ist hier in ihrem Element und verweist auf gute Erfahrungen mit dem Sequoia-System, das von der Aufnahme über die Mischung bis zur Postproduktion im Einsatz ist. „Wir könnten auch gleich senden“, erklärt Tonmeister Florian Bitzer. Er verfolgt konzentriert die Partituren und behält so stets den Überblick. Um etwas Druck aus der Live-Aufnahme zu nehmen, habe man bereits eine Probe des Orchesters aufgenommen und könne deshalb zur Not auf diese „Takes“ zurückgreifen. Nachzuhören dann am 4. Juli ab 20.03 Uhr.